Die Geschichte der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) beginnt 1915 im Ersten Weltkrieg. Ihr Werdegang ist ein Abbild der steuerpolitischen Entwicklungen in der Schweiz. Wann immer der Bund neue Kompetenzen zur Erhebung von Steuern erhielt, entwickelte sich auch die ESTV. Die Geschichte der ESTV ist somit das Resultat demokratischer Entscheide und sie ist eingebettet in das föderale Staatssystem mit kantonalen Steuerhoheiten. Aus den Anfangsjahren sind nur wenige Aufgaben geblieben – zu ihnen gehört die Erhebung der Stempelabgaben und die Aufsicht über die Wehrpflichtersatzabgabe.
100 Jahre Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV)
Die ESTV tritt auf den Plan
Nachdem in der Abstimmung vom 6. Juni 1915 die Einführung einer Kriegssteuer beschlossen worden war, schuf das Eidgenössische Finanz- und Zolldepartement (EFZD) am 30. Juli 1915 unter dem Namen „Eidgenössische Kriegssteuerverwaltung“ eine provisorische Sektion. Diese bestand aus einem Chef und zwei befristet angestellten Aushilfsbeamten und war zuständig für die Organisation und Erhebung der ausserordentlichen Kriegssteuer.
Bald kamen neue Aufgaben hinzu: Die ESTV wurde noch während des Krieges verantwortlich für die Aufsicht über den Militärpflichtersatz, die Erhebung der Kriegsgewinnsteuer und der eidgenössischen Stempelabgabe. Ferner war sie zuständig für die Begutachtung aller Steuerfragen auf Bundesebene sowie die Vorbereitung und Durchführung von Steuermassnahmen des Bundes. So arbeiteten bereits Anfang der 1920-er Jahre über 200 Angestellte in der Steuerverwaltung. Nach dem Abbau der Kriegsgewinnsteuer verringerte sich der Personalbestand wieder auf 90. Mit der Einführung neuer Steuern während des Zweiten Weltkriegs stieg der Bestand erneut sprunghaft an und pendelte sich Ende der 1960-er Jahre bei gut 600 Angestellten ein.
Wie dürfen wir uns die Amtsstuben in jenen Anfangsjahren am ersten Standort an der Bundesgasse 32 vorstellen? Prof. Camille Higy, der 1919 in die ESTV eintrat und zum Abteilungsleiter Kriegsgewinnsteuer aufstieg, erinnerte sich kurz nach dem 50-jährigen Jubiläum der ESTV Mitte der 1960-er Jahre:
„Die (…) Gebäude stammten aus den Siebzigerjahren und dienten bisher Geschäfts- und Wohnzwecken. Als letzter Rest aus frühren Zeiten hatte sich im Parterre eine angesehene Confiserie mit Tea-Room noch während Jahrzehnten zu halten vermocht (…) Wohl hat mancher Besucher, bevor er mit seinen Steuersorgen die Treppe hinaufstieg, sich in der Confiserie Scheurer gestärkt. In den ersten Jahren trugen die Arbeitsräume und die Einrichtungen den Stempel der Jahrhundertwende. In den Zimmern befanden sich noch die Einzelöfen, die vom Korridor aus geheizt wurden. Riesige Schreibpulte mit hohen Regalen, die der Ablagerung von Aktenmaterial und gelegentlich auch von Zeitungen dienten, standen im Raum. Zum Teil waren sie als Stehpulte konstruiert, wobei als Sitzgelegenheit jene hochbeinigen Hocker dienten, die zum Symbol des Berufsstandes geworden sind. (…) Schliesslich sei noch erwähnt, dass in jedem Büro nächst der Türe ein Spucknapf mit Sand aufgestellt war."
Nicht in allen Details entsprach die Örtlichkeit der verstaubten Amtsstube. So wurde jedem Neueintretenden ab 1947 in einer „Einführungsschrift“ zu bedenken gegeben, „dass jede berufliche Spezialisierung die Gefahr der Verbildung und Verkümmerung in sich birgt. Halte Dich deshalb frei von Routine, Formalismus und geistiger Enge.“
Krieg und Wirtschaftswachstum führen zu neuen Aufgaben
Der Zweite Weltkrieg und das starke Wirtschaftswachstum der Nachkriegsjahrzehnte stellte die ESTV vor grosse Herausforderungen. Die Steuereinnahmen wuchsen und machten in den 1960er-Jahren etwa die Hälfte der Bundeseinnahmen aus. Durch die Internationalisierung der Wirtschaft und das Wachstum des Schweizer Finanzsektors wurde die Erhebung von Steuern anspruchsvoller. Auch die Steuergesetzgebung wurde es. In den ersten 50 Jahren wurden 321 Gesetze erlassen – von Bundesverfassungsänderungen bis hin zu Amtsverordnungen, einschliesslich Doppelbesteuerungsabkommen. Als Vergleich: In den vergangenen Jahren wurden im Schnitt jährlich über 60 parlamentarische Vorstösse beantwortet, mehrere Volks- und Standesinitiativen behandelt und 2014 sind zwei Dutzend von der ESTV behandelte Gesetzesänderungen oder Verordnungen in Kraft getreten.
Solche Veränderungen schlugen sich in der Organisation der ESTV nieder. 1967 umfasste sie neben der Direktion die drei Unterabteilungen Wehrsteuer, Warenumsatzsteuer sowie Stempelabgaben und Verrechnungssteuer. Dazu kamen die vier Sektionen Militärpflichtersatz, Statistik, Spezialdienste sowie Internationales Steuerrecht und Doppelbesteuerungssachen. Die ESTV war damit eines der grössten zivilen Bundesämter.
Rufe nach Reformen zwingen zu Reorganisationen
Das Wirtschaftswachstum brachte nicht nur Wohlstand, sondern auch neue Herausforderungen. Um 1970 wurden die Rufe nach Reformen in Staat und Wirtschaft lauter. Die ESTV musste sich den Veränderungen laufend anpassen. Bei einer umfassenden Reorganisation wurde 1973 zusätzlich zu den Abteilungen und Sektionen (heute Teams) die Hauptabteilung als weitere Hierarchieebene eingeführt. Diese Grundstruktur ist bis heute unverändert geblieben. Gekennzeichnet war diese Zeit auch von Reformen der gesamten Bundesverwaltung: 1978 trat das Verwaltungsorganisationsgesetz in Kraft, welches die Führungsstäbe auf Stufe Bundesrat und Departement stärkte und die Generalsekretariate schuf.
Die Globalisierung der Wirtschaft und das rasante Wachstum der Finanzmärkte werfen weitere komplizierte steuerrechtliche Fragen auf, was organisatorische Änderungen nach sich zieht. Ein jüngstes Beispiel ist der Dienst für Informationsaustausch in Steuersachen (SEI), der 2011 geschaffen wurde und mittlerweile über zwei Dutzend Mitarbeitende umfasst. Veränderungen haben nicht nur zu einem stetigen Wachstum der ESTV geführt, sondern auch zu einer zunehmenden fachlichen Spezialisierung der heute über 1000 Mitarbeitenden.